Erwartungen 2.0
Wir haben letzte Woche schon darüber geredet, dass Erwartungen – vor allem die an einen selbst – manchmal fies sein können und dazu gibt es noch so viel mehr zu sagen. Denn ich lag gestern Nacht im Bett und habe mich – wie schon so oft – bei folgendem Gedanken ertappt:
Stop, denke ich, das sind nur deine Erwartungen. Hör auf über einen Fakt nachzudenken, den jemand anderes gar nicht erfüllen kann, weil er meinen Wunsch dahinter nicht kennt.
Vor zwei Jahren hat mir jemand gesagt: „Franzi, Du hast zu hohe Erwartungen.“ Und seitdem ertappe ich mich oft selbst bei diesem Gedanken und wäge ab, ob das wirklich so ist oder nicht. Dieser Mensch war eine Zeit lang ein wichtiger Teil in meinem Leben, aber in diesem Punkt möchte ich ihm widersprechen. Es ist nicht falsch hohe Erwartungen zu haben, nicht immer!
Was wäre eine Leben ohne Erwartungen? Wir würden uns weniger freuen, weniger Ziele erreichen, die wir uns gesetzt haben, weniger Erfolge feiern, weniger schöne Orte besuchen, aber im selben Atemzug auch weniger enttäuscht werden.
Denn wie oben gesagt, empfinde ich Erwartungen nicht als etwas schlimmes. Man muss nur wissen, dass diese selten zu 100% erfüllt werden können. Das liegt manchmal daran, dass die andere Person sie nicht kennt (wie bei meinen Gedanken gestern Nacht), oder dass sie zu groß sind. In keinem der Fälle ist das schlecht.
Der springende Punkt ist das Wissen darüber und der Umgang damit, wenn diese eben nicht erfüllt werden. Für mich gibt es einen Unterschied zwischen Erwartungen haben und erwartend sein. Erwartend sein verbinde ich mit fordernd sein. Dinge einzufordern, ist fast nie richtig – ob in einer Beziehung, im Job oder woanders. Es sei denn, Du hast 100 % Recht. Und wann ist das schon einmal der Fall?
Wir leben mit Menschen, wir arbeiten mit ihnen, haben eine Partnerschaft, eine Freundschaft: Eine 100%ige Übereinstimmung gibt es fast nie. Also kann eine Erwartung auch nicht zu 100 % erfüllt werden.
Es gibt ein gutes Beispiel dafür bei Gesprächen, nehmen wir hier einmal Krisengespräche in Beziehungen. Diese gestalten sich immer 50/50. Denn auch wenn Du deine Erwartungen zu 100 % erfüllst, sind das immer nur 50 % in diesem Gespräch. Dein Gegenüber steuert die anderen 50 % bei. Verstehst Du, was ich meine?
Das bedeutet, dass egal, was Du von einer zwischenmenschlichen Beziehung erwartest, es gar nicht zu 100 % Prozent erfüllt werden kann. Dafür müsste die andere Person alles wissen, was wir wissen, so ticken wie wir und genau die selben Annahmen treffen.
In deinem Beruf, bei sportlichen Leistungen oder ähnlichem können meiner Meinung nach Erwartungen nicht hoch genug sein, denn Du willst doch was erreichen, oder? Etwas verändern? Das Ziel ist oberste Priorität. Und ein Anspruch à la „Schauen wir mal, meine Erwartungen sind hier eh nicht so hoch“ ist doch nicht geil.
Wo wir wieder beim Anfang wären: Erwartungen zu haben, alles gut, richtig so, das sollten wir, wenn wir uns dabei reflektieren, perfekt. Aber wir können nicht einfordern, dass diese in allen Lebenslagen erfüllt werden.